
Ich hätte nie gedacht, dass ich mit sechsundsechzig Jahren noch einmal so eine Aufregung spüren könnte. Und doch bin ich zu einem Mann gezogen, den ich im Kurhaus kennengelernt habe. Bevor ich jemandem von meiner Entscheidung erzählen konnte, kam eine Nachricht von meiner Tochter:
— „Mama, ich habe gehört, du bist ausgezogen. Das ist doch ein Scherz, oder?!“
Ich erstarrte. Noch gestern hatten wir gemeinsam ein Apfelkuchenrezept besprochen, und jetzt – dieser kalte, vorwurfsvolle Ton.
Ich versuchte zu erklären: „Alles ist in Ordnung, wir reden bald.“ Keine Antwort. Da begriff ich: Für sie war das keine einfache Nachricht. Für sie war es eine Katastrophe.
Und ich? Ich saß an einem kleinen Küchentisch in seiner Wohnung, der Duft von frisch gebrühtem Kaffee vermischte sich mit dem Geruch von Kiefernzweigen, die durch den offenen Balkon hereindrangen. Neben mir saß er – der Mann, der sanft meine Hand hielt. Wir kannten uns erst seit drei Monaten. Aber was zwischen uns war, war nicht flüchtig.
Alles begann mit einer einfachen Frage beim Abendessen im Kurhaus: „Ist diese Suppe für Sie nicht etwas zu salzig?“ Ich sah ihn an und lächelte. Es schien nichts Besonderes zu sein, aber genau in diesem Moment begann unsere Geschichte. Dann ging alles schnell: Spaziergänge im Park, lange Gespräche bei Abendlicht, Austausch der Telefonnummern.

Als ich nach Hause zurückkehrte, dachte ich, es sei nur eine schöne Erinnerung. Doch er rief an. Dann wieder. Und wieder.
Wir begannen uns zu treffen. Erst in gemütlichen Cafés, dann lud er mich in sein Wochenendhaus ein. Dort fand ich alles, was mir jahrelang gefehlt hatte: Aufmerksamkeit, Zuneigung, menschliche Wärme. Ich bin seit sieben Jahren Witwe. All die Jahre war mein Leben ausgefüllt mit Sorgen um andere – Kinder, Enkel, Nachbarn, Ärzte, Apotheken. Ich hatte fast vergessen, dass ich selbst Gefühle hatte.
Und plötzlich merkte ich, dass ich wieder fühlen konnte. Dass jemand mich so umarmen konnte, dass Einsamkeit, Jahre und Falten verschwanden. Eines Tages sagte er: „Ich habe ein freies Zimmer. Du kannst ein paar Tage bleiben. Oder länger.“
Da spürte ich dasselbe warme Gefühl wie einst in meiner Jugend – die Gewissheit, am richtigen Ort zu sein. Ich packte leise meine Sachen und fuhr weg. Ich wollte kein Aufsehen, keine langen Erklärungen.
Für mich war es eine Entscheidung des Herzens. Für sie – ein unüberlegter Launenstreich. Als meine Tochter nicht mehr ans Telefon ging, versuchte ich, sie zu erreichen. Sie legte auf.
Mein Sohn sagte kühl: „Mama, was machst du da?“ und fügte hinzu: „In deinem Alter macht man so etwas nicht.“
Ich versuchte zu scherzen: „In meinem Alter? Ich bin erst sechsundsechzig!“ – Der Scherz blieb unbeachtet.
Für sie zählte nur eines: Ich war nicht mehr zu Hause. Ich war nicht mehr ständig verfügbar. Ich konnte nicht mehr helfen, das Enkelkind hüten, Geld überweisen. Es kamen Vorwürfe: „Du warst immer so verantwortungsvoll, und jetzt benimmst du dich wie ein Teenager“, „Du kannst doch nicht einfach wegfahren“, „Was sollen die Leute denken?“

Ich sagte: „Ich lebe nicht für die Leute.“ Danach wurde es noch schlimmer. Die Enkel hörten auf anzurufen. Ich bekam keine Einladung zum Geburtstag der Jüngsten. Mein Herz tat weh, aber ich kehrte nicht zurück.
Denn hier, in diesem kleinen Haus mit einem Garten voller Blumen und frischer Erde, mit dem Mann, der mir jeden Morgen Kaffee macht und flüstert: „Guten Morgen, Schöne“ – hier fühlte ich mich ich selbst. Nicht Großmutter, nicht alte Frau. Ich.
Eines Abends fragte ich ihn: „Glaubst du, die Kinder werden es irgendwann verstehen?“ Er zuckte mit den Schultern: „Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass du dich selbst verstanden hast. Und das ist das Wichtigste.“
Ich weinte, aber nicht aus Trauer – aus Erleichterung und Freude.
Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Vielleicht kommen sie zurück. Vielleicht nicht. Aber ich weiß eines: Niemand hat das Recht zu sagen, dass Liebe nur für die Jungen ist.
Ich fühle mich jetzt jung. Glücklich zu sein, wenn andere dagegen sind, ist nicht leicht. Aber es ist echtes Glück. Verdientes Glück.
Die Kinder? Sie haben ihr eigenes Leben. Die Enkel werden erwachsen. Vielleicht sehen sie mich eines Tages anders – nicht als jemanden, der etwas „Unangemessenes“ getan hat, sondern als eine Frau, die den Mut hatte, sie selbst zu sein.
Und wenn mich eines Tages jemand fragt, ob ich es bereue, werde ich ehrlich antworten: Ich bereue nur eines – dass ich so lange gewartet habe. Denn es ist nie zu spät, sich wieder zu verlieben.







