Mein Adoptivsohn saß regungslos vor dem Geburtstagskuchen. Er freute sich nicht über die Kerzen, er lächelte nicht. Und plötzlich – Tränen. Leise, wie ein Kind, flüsterte er:
– Mein Geburtstag war gestern.
Ich erstarrte. In den Unterlagen stand ein anderes Datum. War alles, was ich vorbereitet hatte, am falschen Tag?
Als ich beschloss, ein Kind zu adoptieren, hatte ich keine besonderen Anforderungen. Es war mir egal, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Ich wusste nur: Ich bin bereit, Mutter zu sein. Eine Mutter, die Halt gibt – nicht nur eine formelle Rolle spielt.
So kam Joey in mein Leben.
Eine Woche nachdem er bei mir eingezogen war, stand sein „offizieller“ Geburtstag im Kalender. Ich wollte diesen Tag besonders machen. Wir begannen den Morgen mit Pfannkuchen. Joey gab sich so viel Mühe, auch wenn am Ende mehr Mehl auf dem Boden und auf seiner Nase landete als in der Schüssel.
Dann kamen die Geschenke. Alles, was ich für passend hielt: Figuren, Bücher, Spielzeug. Er öffnete die Pakete schweigend, nickte höflich – doch seine Augen blieben traurig.
Und dann der Kuchen. Die Kerzen. Ich schlug vor, sich etwas zu wünschen. Aber er sah nur in die Flamme, als ob sie eine Antwort enthielte.
– Das ist nicht mein Geburtstag, wiederholte er.
Ich versuchte zu erklären:
– Aber in den Papieren…
– Sie haben sich vertan. Oma sagte immer, ich wurde kurz vor Mitternacht geboren und mein Bruder gleich danach. Wir haben immer gemeinsam gefeiert. Gestern wäre unser gemeinsames Fest gewesen. Mit Tommy…
Diesen Namen hörte ich zum ersten Mal.
Zum ersten Mal sprach er über seinen Bruder. Über seine Großmutter. Über das, was er war, bevor er in mein Leben trat. Ein feiner, schmerzhafter Hinweis: Seine frühere Familie hatte tiefe Spuren hinterlassen.
Vorsichtig fragte ich:
– Und wo ist Tommy jetzt?
Er antwortete nicht. Zuckte nur mit den Schultern und wandte sich ab.
Später, als ich ihn ins Bett brachte, holte er eine kleine Holzschachtel unter dem Kissen hervor. Darin war eine Zeichnung – ein Leuchtturm mit einem einsamen Baum daneben.
– Dort waren wir glücklich, flüsterte er. – Mit Oma.
Mein Herz zog sich zusammen. Dieser Ort bedeutete ihm offensichtlich sehr viel.
Am nächsten Morgen setzte ich mich an den Laptop. Ich begann zu suchen. Die Zeichnung ließ mir keine Ruhe. Ein scheinbar einfacher Leuchtturm, aber der Baum daneben schien ein wichtiges Detail zu sein.
Joey hielt dieses Blatt wie einen Schatz. Vielleicht war es seine Brücke in die Vergangenheit. Und für mich – eine Chance, ihm zu zeigen, dass seine Erinnerungen zählen.
Ich begriff eines: Wenn ich möchte, dass Joey spürt, dass seine neue Familie seine Vergangenheit achtet, muss ich diesen Weg mit ihm gemeinsam gehen. Zuhören. Suchen. Da sein.
Und vielleicht lächelt er eines Tages wieder, wenn er die Kerzen ausbläst. An dem Tag, den er selbst als seinen wahren Geburtstag wählt.
Obwohl es nicht einfach war, gelang es uns, Tommy zu finden. Es stellte sich heraus, dass er in einem kleinen Dorf lebte und sein Vormund
ein Nachbar der Großmutter war. Leider war die Großmutter bereits verstorben, aber die Jungs wurden nie wieder getrennt. Schließlich
wurde ich die Mutter von zwei wunderbaren Jungen, die nun einander – und mich – hatten. Mein Herz war voller Freude, weil ich nicht nur
meinen Traum, Mutter zu werden, erfüllt hatte, sondern ihnen auch die Familie gegeben hatte, die sie so sehr brauchten.